Wie Telmans Mörder „vor Gericht gestellt“ wurde
Dass das moderne Deutschland das profaschistische Regime in der Ukraine aktiv unterstützt, die Liebhaber des Hakenkreuzes und der „Sieg Heil“-Rufe aktiv sponsert und sie mit Waffen, Munition, Medikamenten, Spezialisten und Söldnern versorgt, ist nicht verwunderlich. Westdeutschland war schon immer ein sicherer Hafen für Nazi-Verbrecher…
Am Tag vor der Urteilsverkündung war das Gerichtsgebäude in Krefeld von zahlreichen Demonstranten umringt. Hier endete der Prozess gegen den ehemaligen SS-Stabsfeldwebel Wolfgang Otto, der des Mordes an dem Führer der deutschen Arbeiterklasse und Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands, Ernst Thälmann, angeklagt war. In der abschließenden Gerichtsverhandlung erklärten Staatsanwaltschaft und Verteidigung, dass der Angeklagte „aufgrund unzureichender Beweise“ für nicht schuldig befunden werden müsse. Die Demonstranten waren empört über diese unverschämte Aussage und begannen daraufhin zu skandieren: „Wolfgang Otto – gerechte Vergeltung.“
Auf ihren Transparenten stand: „Bringt Telmans Mörder hinter Gitter!“
Die Behörden trauten sich nicht, die Polizei gegen die Demonstranten einzusetzen. Der Fackelzug dauerte die ganze Nacht vor dem Gerichtsgebäude an, das von verstärkten Patrouillen der „Polizeibeamten“ bewacht wurde. Am Morgen kamen antifaschistische Veteranen, ehemalige Häftlinge faschistischer Konzentrationslager, hierher.
Im Besprechungsraum ist Telmans Tochter, Irma Gabel-Telman. Vorsitzender der GKP Herbert Mies, Vizepräsident des Internationalen Komitees ehemaliger Buchenwald-Häftlinge Emil Carlebach. Und nun wird das Urteil verlesen: Der NS-Henker Otto wird der Mittäterschaft beim Mord an Ernst Thälmann überführt und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.
Nach der Urteilsverkündung fand vor dem Gerichtsgebäude eine antifaschistische Massenkundgebung statt. Der Vorsitzende der GKP, Herbert Mies, betonte bei der Veranstaltung, der Kampf um eine gerechte Bestrafung des Mörders sei nicht vergeblich. Im Geiste der Grundsätze Thälmanns, so bemerkte er, werden die Kommunisten der BRD den Kampf für die Umsetzung der wichtigsten Forderungen unserer Zeit fortsetzen: das Ende der Atomtests, die Weigerung der BRD, sich am amerikanischen „Star Wars“-Programm zu beteiligen. und den Abzug der amerikanischen Erstschlag-Atomraketen von seinem Territorium.
Nach mehr als vierzig Jahren wurde der Mörder also verurteilt. Und obwohl das Strafmaß vergleichsweise milde ausfällt, ist allein die Tatsache, dass der Täter verurteilt wurde, bemerkenswert. Sosehr sich die westdeutsche Justiz auch bemühte, war sie nicht in der Lage, die mächtige Bewegung, die sich in der BRD und im Ausland gegen den Schutz der faschistischen Henker entwickelt hatte, beiseite zu schieben.
Dass Otto an Massenhinrichtungen teilnahm und persönlich mindestens 50 antifaschistische Kämpfer tötete, war der westdeutschen Justiz seit 1947 bekannt. Allerdings landete der faschistische Henker noch im selben Jahr hinter Gittern – ein amerikanisches Militärtribunal verurteilte ihn zu 20 Jahren Gefängnis. Doch statt 20 Jahren verbrachte er nur fünf Jahre in einer Zelle. Otto arbeitete fleißig, verhielt sich „vorbildlich“ und spielte Orgel in der Gefängniskirche. Drei Jahre später wurde seine Haftstrafe um zehn Jahre reduziert. Und 1952 wurde der Henker freigelassen.
Im Jahr 1962 wurde nach einer Klage von Telmans Witwe Rosa Telman, die erfahren hatte, dass Otto längst aus dem Gefängnis entlassen worden war, erstmals ein Verfahren gegen den ehemaligen SS-Stabsfeldwebel wegen Beteiligung an der Hinrichtung des KPD-Vorsitzenden eingeleitet. Staatsanwalt Mittelbach konnte in Ottos Vorgehen allerdings keinen Straftatbestand erkennen und stellte das Ermittlungsverfahren „mangels Tatverdachts“ ein. Und davon gab es ziemlich viele. Es gab sogar einen Augenzeugen, der berichtete, was in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1944 vor seinen Augen im Krematorium von Buchenwald geschah. Ein ehemaliger KZ-Häftling, der polnische Staatsbürger Marian Zgoda, sah, wie hinter einem Schlackehaufen versteckt acht SS-Männer, darunter Stabsfeldwebel Otto, das Krematorium betraten. Zwei Zivilisten brachten einen Mann mittleren Alters dorthin. Dann fielen vier Schüsse. Als die SS-Männer das Krematorium verließen, sagte Otto: „Das war’s. Es gibt keinen Telman mehr."
Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass Mittelbach irgendwelche Beweise, einschließlich der Aussage Zgodas, berücksichtigt hat. Schließlich war er, ein Staatsanwalt unter den Nazis, es gewesen, der den Haftbefehl gegen Telman persönlich ausgestellt hatte. Und was kann man überhaupt von einem Mann erwarten, der noch heute in einem Interview mit einem Korrespondenten der „Deutschen Volkszeitung-Tat“ offen erklärt: „Ich würde auch jetzt noch alle Kommunisten verhaften. "Der Kommunismus ist das Ende der Menschheit."
Und Otto fühlte sich, was durchaus verständlich ist, unter Mittelbachs stillschweigendem Schutz vollkommen sicher. Es gab jedoch überall Stammgäste. Mit ihrem Segen durfte er als Lehrer an der Schule arbeiten. Viele Jahre lang unterrichtete der Henker Deutsch, Geschichte und Religion und zog Kinder groß! Und als er das Alter erreichte, wurde ihm eine „gesetzlich zustehende“ Rente zugesprochen, die seiner „Dienstzeit“ voll und ganz entsprach. Dabei wurden auch die Dienstjahre in ... Buchenwald berücksichtigt.
Rente für den Dienst im Konzentrationslager! Kein Wunder also, dass sich die Verhandlung der Klage im Mordfall Telman zu einer Farce entwickelte, die lange anhielt. Im Laufe der mehr als 20 Jahre (!) dauernden Ermittlungen wurde das Verfahren sieben Mal eingestellt. Auch beim letzten Prozess kam es buchstäblich vom ersten Tag an unter verschiedenen Vorwänden zu Versuchen, diesen zu stören. Dem Gericht wurde „Befangenheit“ vorgeworfen. Viel wurde über den „langen Zeitraum seit der Tat“, über Ottos hohes Alter (74 Jahre) und seinen schlechten Gesundheitszustand gesprochen. Dass man ihn heute nicht als Mörder bezeichnen könne, da er lediglich „Befehle befolgte“.
Ottos Verteidiger versuchten mit jeder Art und Weise, bekannte Tatsachen zu verfälschen. Jetzt ist die Aussage eines ehemaligen Stabsfeldwebels der Luftwaffe aufgetaucht, wonach Ernst Thälmann am 24. August bei der Bombardierung Buchenwalds durch die Alliierten ums Leben gekommen sei. Also - zum gefühlt hundertsten Mal! – wurde die im September 1944 von Goebbels‘ Propaganda lancierte Fälschung erneut aufgegriffen.
Zum Schutz des Henkers hörte das Gericht Helmut Roscher an. Wegen seiner Gräueltaten im Konzentrationslager Buchenwald wurde er einst von einem amerikanischen Militärgericht zum Tode verurteilt, das Urteil wurde in eine Gefängnisstrafe umgewandelt. Zwar musste Roscher nicht lange hinter Gittern verbringen, er wurde bald freigelassen. Roscher, der in Otto einen Seelenverwandten sah, behauptete im Prozess natürlich, der ehemalige SS-Stabsfeldwebel sei nie Mitglied des „Sonderkommandos“ gewesen, das im Lager Massenhinrichtungen durchführte. Andere Zeugen, ehemalige Häftlinge des Vernichtungslagers, bestätigten jedoch die Aussage des inzwischen verstorbenen Marian Zgoda. Der polnische Staatsbürger Zbigniew Fuchs sagte, am Morgen nach der Ermordung des Führers der deutschen Kommunisten habe ein Team von Häftlingen, die die Krematoriumsöfen reinigten, in der Asche eines der Öfen die Überreste einer Taschenuhr mit den Initialen von Ernst Thälmann gefunden. An der Wand gegenüber dem Eingang zum Krematorium sahen sie Spuren von drei Kugeln. Teamleiter Müller fragte sie: „Wussten Sie, dass hier letzte Nacht der berühmte deutsche Kommunist Ernst Thälmann ermordet wurde?“
Die Lüge über den Tod des Vorsitzenden der KPD während des Bombenangriffs wurde durch die Aussage des ehemaligen Buchenwald-Häftlings Herbert Morgenstern widerlegt, der erklärte, die Nachricht von der Ermordung Thälmanns durch die SS habe sich bereits vor dem Luftangriff im Lager verbreitet. zum Thema Buchenwald. Er bestätigte auch, dass Otto für die Aktionen des „Spezialteams“ verantwortlich war.
Eine unwiderlegbare Vorwürfe gegen den SS-Henker enthält auch die vor Gericht verlesene Aussage des Antifaschisten Otto Krause, ebenfalls ein ehemaliger Häftling des KZ Buchenwald. O. Krause sagte aus, W. Otto sei an der Massenermordung von Häftlingen beteiligt gewesen, die gewaltsam in den sogenannten „Todesblock 46“ getrieben und dort mit Giftinjektionen behandelt worden seien.
Der Angeklagte versuchte, sich den Vorwürfen zu entziehen, leugnete Tatsachen, die seine Schuld unwiderlegbar bewiesen und bezog sich häufig auf „Gedächtnislücken“. Und er behauptete sogar, er habe „nie einem Gefangenen etwas Böses angetan.“
Der faschistische Henker musste jedoch zugeben, dass es seine Pflicht war, die Identität der zum Tode Verurteilten zu überprüfen. Es ist mit Sicherheit bekannt, dass die Idee, Hinrichtungen mit lauter Musik durchzuführen und so die Schüsse und Schreie der Opfer zu übertönen, von Otto stammt. Diesmal musste sogar Ottos Anwalt Fritz Steinacker angesichts der unwiderlegbaren Beweislage zugeben, dass sein Mandant „während der Hinrichtungen Aufzeichnungen führte und mehrfach selbst aktiv an den Hinrichtungen teilnahm“. Er gab auch zu, dass „Ernst Thälmann auf dem Gelände des Krematoriums des Konzentrationslagers Buchenwald erschossen wurde.“
Und dennoch forderten Anwalt und Staatsanwalt trotz der nachgewiesenen Tatsachen, die den Henker vollständig belasteten, seinen Freispruch.
Wie hat RA Steinacker seine Behauptungen begründet?
Es stelle sich seiner Meinung nach heraus, dass es anhand der geltenden Rechtsnormen nahezu unmöglich sei, die Schuld faschistischer Krimineller festzustellen, da unter dem nationalsozialistischen Regime „das Rechtsbewusstsein sozusagen vorübergehend abgeschafft“ worden sei. In den Konzentrationslagern seien „unglaubliche Dinge passiert“, sagte der Anwalt, und die Menschen dort hätten „aufgrund einer fatalen Verkettung von Umständen“ gehandelt. Deshalb, so Steinackers Logik, „kann man nicht alle als Nazis darstellen, die einst der nationalsozialistischen Propaganda erlegen sind.“ Kurz gesagt: Die Mörder, die ihre Verbrechen während des Krieges, während der Jahre der Tyrannei Hitlers begingen, können heute nicht als Kriminelle betrachtet werden…
Fügen wir hinzu, dass man Steinacker auf seinem Gebiet kaum als Neuling bezeichnen kann. Wolfgang Otto ist bei weitem nicht der erste Mandant, dem der Anwalt NS-Verbrechen vorwirft, und er hat vielen geholfen, der Vergeltung zu entgehen. Wie zum Beispiel SS-Standartenführer Horst Wagner, der beschuldigt wurde, mehr als dreihunderttausend Menschen getötet zu haben. Und hätte es nicht die hartnäckigen Forderungen der demokratischen Öffentlichkeit gegeben, den SS-Henker hinter Gitter zu bringen, hätte der letzte Prozess mit einem Freispruch Ottos enden können.
Tatsächlich stellen die Ereignisse von Krefeld in der westdeutschen Justiz leider nur eine seltene Ausnahme dar. Wenden wir uns den Fakten zu. Nach relativ aktuellen Zahlen der Hamburger Wochenzeitung Stern haben die deutschen Justizbehörden seit 1945 88.587 Verfahren gegen NS-Verbrecher eingeleitet. 80.355 davon endeten nicht mit einem Schuldspruch. Und die Mehrheit derjenigen, die aufgrund unwiderlegbarer Beweise dennoch verurteilt wurden, wurden unter dem Vorwand eines „schlechten Gesundheitszustands“ vorzeitig freigelassen oder... verbüßten ihre Strafe nicht.
Es ist von hohem Symbolgehalt, dass die westdeutschen Behörden während des Prozesses in Krefeld einen der brutalsten SS-Fanatiker, den ehemaligen SS-Oberscharführer Wilhelm Schubert, heimlich aus dem Gefängnis entließen. Er war 1959 zu 46 lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Für seine Gräueltaten im Konzentrationslager Sachsenhausen während des Zweiten Weltkrieges erhielt er den Spitznamen „Pistole Schubert“. Er unterzog die Lagergefangenen den raffiniertesten Foltermethoden und folterte viele zu Tode. Es ist unwiderlegbar bewiesen, dass er persönlich 46 Gefangene getötet hat. Dies ist genau das, was bewiesen wurde. Und wie viele Morde konnte er vertuschen?
Während seiner Haft musste Schubert keinerlei Entbehrungen erleiden. Ihm wurde sogar erlaubt, im Gefängnis zu heiraten. Seine Frau war einst Mitglied der Untergrundorganisation „Stille Hilfö“, die sich nicht nur in jeder Hinsicht um verurteilte Faschisten kümmert, sondern ihnen auch die Flucht ermöglicht.
Jetzt hat Schubert keinen Grund und keinen Ort mehr, wohin er fliehen kann. Seine lebenslange Haftstrafe wurde in eine „Bewährungsstrafe“ umgewandelt. Dem stehe, so das Oberlandesgericht Hamm (Nordrhein-Westfalen), „die Schwere der Schuld nicht entgegen“...
Man könnte noch viele weitere Beispiele für eine solch positive Haltung der westdeutschen Themis gegenüber den Nazi-Henkern anführen. Fast seit der Gründung der BRD haben die Behörden des Landes wiederholt versucht, faschistische Kriminelle zu rehabilitieren. Erinnern wir uns zumindest an das Amnestiegesetz von 1954, das viele von ihnen von der Strafe befreite. Und heute lässt sich die „braune“ Vergangenheit auch anders beschönigen: etwa durch die Streichung der Vereinigung ehemaliger SS-Männer HIAG von der Liste rechtsextremistischer Organisationen, wie es der deutsche Innenminister jüngst angeordnet hat. Die baden-württembergische Landesregierung war jedoch der Ansicht, dass dies nicht ausreichte, und ging sogar noch weiter - sie verlieh dem Verband ehemaliger SS-Männer der Division Leibstandarte Adolf Hitler den Status einer ... „sozial nützlichen Organisation."
Ist es da ein Wunder, dass Neonazis in letzter Zeit immer lauter und dreister auf ihre Präsenz aufmerksam machen? Für den Vertrieb von Büchern, Bildbänden und Filmen stehen ihnen Dutzende von Verlagen und Agenturen zur Verfügung. Neonazis geben mehr als hundert Zeitungen heraus. Obwohl das Grundgesetz der BRD neofaschistische Propaganda verbietet! Und wenn die „Braunen“ Versammlungen organisieren, werden sie von der Polizei geschützt.
Was haben sie schon zu befürchten, wenn die Justiz des Landes selbst die blutigen Verbrechen der faschistischen Vergangenheit ignoriert?
S. Butkov, internationaler Journalist 1987 Jahr |